Gabi Fellner

Richten wir unsere Aufmerksamkeit lieber auf das, was wir tun wollen, anstatt auf das, was schiefgelaufen ist. - Marshall Rosenberg

Die vier Schritte

Im Laufe der Zeit hat Marshall Rosenberg den Weg der 4 Schritte entwickelt. Auf den ersten Blick mag dir das Prozedere etwas sperrig vorkommen - nicht praxisnah und somit schwierig umzusetzen. Hier verhält es sich wie bei vielen Dingen: Übung macht die Meisterin. Anfangs sind die vier Schritte noch sehr getrennt voneinander, es wird vermutlich eine Weile brauchen, um nur die jeweils passenden Gefühle oder Bedürfnisse benennen, geschweige denn, eine abschließende Bitte formulieren zu können. Mit der Zeit fließt alles mehr ineinander und geht leichter von der Hand, oder vielmehr: von der Zunge. Für den Beginn sollen die vier Schritte tatsächlich für eine Entschleunigung sorgen. Weg von der automatischen Re-Aktion, hin zum "Stopp", bevor ich agiere.

  1. Beobachtung. Etwas verursacht ein "Autsch" bei mir. Im ersten der vier Schritte versuche ich, meine Bewertungen und Interpretationen davon zu trennen. Beispiel gefällig? Bitte sehr: "Mein Sohn hat mal wieder das dreckige Glas nur AUF die Spülmaschine gestellt, weil er wie immer viel zu faul ist, die Spülmaschine mal eben zu öffnen. Dass mich das nervt, ist ihm völlig egal." Autsch! Die reine Beobachtung wäre: "Mein Sohn hat das dreckige Glas auf die Spülmaschine gestellt". Auch wenn meine Erfahrung mir sagt, dass er das schon öfter so getan hat und ich ja von der Richtigkeit meiner Annahme, er tue das aus reiner Faulheit und was ich möchte, sei ihm völlig egal, überzeugt bin, ist das meine Wertung und Interpretation. Eine Hilfe, beides voneinander zu trennen, ist sich vorzustellen, eine Kamera nähme alles auf. Die Kamera weiß nicht, dass er das schön öfter getan hat, sie weiß auch nicht, dass er das aus reiner Faulheit tut. Die Kamera nimmt nur auf, dass er das Glas auf die Spülmaschine stellt.
  2. Gefühl. Der zweite Schritt besteht darin, das eigene Gefühl zu benennen, das diese Handlung in mir auslöst. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen "echten" Gefühlen und sogenannten "Pseudo- oder Tätergefühlen". Der erste Impuls wäre vielleicht zu sagen "ich fühle mich missachtet" oder "ich fühle mich ausgenutzt". Beides sind Pseudogefühle: sie setzen einen anderen voraus, der mich tatsächlich missachtet oder ausnutzt. Beides sind eigentlich eher Gedanken als Gefühle: ich denke, dass mich jemand ausnutzt oder missachtet. Welches aber ist das dahinter liegende Gefühl? Im obigen Beispiel könnte ich zum Beispiel frustriert sein.
  3. Bedürfnis. Im dritten Schritt gehe ich dem Bedürfnis, auf das mein Gefühl hinweist, auf dem Grund. Im Falle von Frust (siehe Schritt 2) könnte das dahinterliegende Bedürfnis Ordnung sein. Ich bin frustriert, weil mir die Ordnung einer aufgeräumten Küche wichtig ist. Hier wird vielleicht schon deutlich, dass das Erfüllen von Bedürfnissen, die Strategien, höchst unterschiedliche Ausprägungen haben können. Vermutlich hat mein Sohn eine andere Auffassung von Ordnung als ich.
  4. Bitte. Daher formuliere ich im vierten Schritt eine konkrete, meß- und erfüllbare Bitte. Am besten, indem ich die vier Schritte der Reihe nach in meine Bitte aufnehme: "Wenn ich sehe, dass du dein benutztes Glas auf die Spülmaschine stellst bin ich frustriert, denn ich habe gerade aufgeräumt und mir ist die Ordnung hier sehr wichtig. Würdest du dein Glas bitte in die Spülmaschine räumen?" Der Unterschied von einer Bitte zu einer Forderung besteht übrigens darin, dass das Nichterfüllen einer Bitte keine Folgen hat. D.h. der Andere darf das ablehnen.

Zugegeben, umgangssprachlich betrachtet, klingt der Satz oben schon etwas "geschraubt" (Achtung: diese letzte Aussage beinhaltet eine Wertung meinerseits und ist keine objektive Äußerung), und: nein, im täglichen Gespräch wähle ich meine Formulierungen der Situation angepasst. Zur Übung empfiehlt es sich tatsächlich, das einmal so auszudrücken, vielleicht nicht im direkten Gespräch, sondern in einer Übungs-Situation. Schon allein, weil du auf diese Weise aus dem Automatismus Aktion - Reaktion herauskommst, weil du ein bißchen länger nachdenken musst.

Für dich klingen die Vier Schritte mehr nach Theorie als Praxis? Und überhaupt dauert das ja viel zu lange? Tatsächlich geht es darum, das sprachliche Miteinander zu entschleunigen und den "Autoresponder" gar nicht erst anspringen zu lassen (der uns vielleicht in der obigen Situation dazu gebracht hätte nach oben zu brüllen "ich hab dir schon tausen Mal gesagt, du sollst dein Glas in die Spülmaschine räumen!!!"). In der Tat erfordert es einiges an Übung, eine Beobachtung von der eigenen Interpretation zu trennen. Auch die Gefühle zu benennen, die das auslöst, sind oft nicht auf den ersten Blick erkennbar. Auf die Frage "wie geht es dir" antworten wir oft recht schnell "gut" oder auch "nicht so gut". Aber was konkret bedeutet das? Was ist "gut" in diesem Moment für mich? Fröhlich? Entspannt? Freudig aufgeregt? Viele haben anfangs Schwierigkeiten, ein konkretes Gefühl abseits von "gut" oder "schlecht" zu benennen.

Wenn du den Eindruck hast, du möchtest das gerne mit Gleichgesinnten üben, freue ich mich über deine Mail.